Frisches Weidegras – Fluch oder Segen für dein Pferd?
Es hat endlich ein bisschen geregnet!
Klingt undankbar, jetzt im Frühling? Naja, für uns Pferdeleute kann es schon deshalb nicht nur Sonnenschein geben, weil wir uns gutes Graswachstum wünschen. Erst einmal um überhaupt sinnvoll anweiden zu können und mittelfristig, um im Juni/Juli gutes Altheu für unsere Pferde zu bekommen.
Übers Heu schreibe ich zu einem anderen Zeitpunkt noch…
Heute will ich euch meine Methode zum risikofreien Anweiden schildern. So handhaben wir es seit 6 Jahren am Spatzenhof und haben bei 26 Pferden mit verschiedensten Erkrankungen noch nie eine Graskolik, einen gefürchteten Hufreheschub, eine PPID/Cushing Eskalation oder eine Lahmheit (z.B. durchs Rumhüpfen wenn’s Weidetor aufgeht) erleben müssen.
Gerade bei den vielen stoffwechselerkrankten Pferden, mit denen wir es leider immer mehr zu tun haben – EMS, Hufrehe, PSSM, Cushing – und den noch zahlreicheren Anwärtern mit viel zu hohen Body Condition Scores (BCS), ist es so wichtig, dass wir alle mehr verstehen über die Pferdefütterung, insbesondere welche Futtermittel viel Zucker (Fruktan ist nur eine Art von Zucker) beinhalten und warum das so ist, bzw. wie man den Zuckergehalt so niedrig wie möglich hält.
Deshalb schreibe ich heute übers Weidegras und das Anweiden – denn kaum ein (natürliches) Futtermittel ist eine solche Zuckerbombe wie Frühlingsgras.
Deshalb sei mal vorausgeschickt: Die Pferde, die aufgrund ihres akuten Übergewichts quasi 5 vor Hufrehe stehen, sollten bitte NICHT auch noch auf Gras!
Wir haben viele, auch Ex-Hufrehe-Pferde, am Spatzenhof erfolgreich rehabilitiert und die konnten dann auch tatsächlich, mit strengen Auflagen versteht sich, wieder mit den Kumpels auf die Weide. Aber nach mindestens 1 Jahr Stoffwechsel-Reha mit planmäßiger, weil diffiziler Diät, langsam aufbauendem, aber stringentem Trainingsplan, genau abgestimmter Naturheilkunde, wichtiger Huforthopädie, Physiotherapie und natürlich erst nach längerer Zeit erfolgreich und stabil auf Sollgewicht gehalten bei einem BCS von 5 bis maximal 6.
Gehen wir also davon aus, dass dein Pferd stoffwechselgesund ist – wenn auch vielleicht nicht top trainiert:
Wann wird angeweidet?
Das ist nicht so einfach mit einem Datum zu benennen, denn es kommt ja leider aufs Wetter an und das kann man bekanntlich nicht bestellen.
Deshalb, ganz grob: im April
In manchen Jahren haben sich Sonne und Regen so gut abgesprochen, dass am 1. April schon eine Hand hoch Gras steht.
Dann gibt es Jahre, da müssen wir abwarten bis sich Tag- und Nachttemperaturen angleichen, denn wenn es nachts noch Minusgrade hat und tags die Sonne auf das Gras scheint, steigt der Fruktangehalt ganz immens.
In wieder anderen Jahren, so auch 2025, ist es zwar schon mild, aber es fehlt uns der Niederschlag und, obwohl schon alles zu blühen beginnt, müssen wir noch ein bis zwei Wochen abwarten, bevor wir mit dem Angrasen beginnen.
Das Angrasen betreiben wir 3 Wochen an der Hand, gerne beim Spazierengehen oder Ausreiten – aber aufgepasst: Nicht an Feldrändern grasen lassen! Da besteht Gefahr Pestizide/Herbizide und Kunstdünger aufzunehmen. Waldränder oder Wiesenränder eignen sich da schon besser.
Wer keine geeignete Frühjahrskoppel mit eher kargem Bewuchs hat, praktiziert das Angrasen besser noch etwas länger an der Hand. Der wichtigste Grund für eine Frühjahrskoppel ist: sie muss „kaputt gehen“ dürfen, d.h. wenn es während der Anweidezeit mal ein paar Tage ordentlich regnet, müssen die Pferde trotzdem raus dürfen. Das häufig praktizierte abrupte Unterbrechen der Angraszeiten um die Grasnarbe zu schonen ist ein viel zu hohes gesundheitliches Risiko. Diese Wiese muss dem Stallbetreiber egal sein. Mir kann sie das sein, denn sie hat ein ganzes Jahr um sich wieder von den Pferden zu erholen.
Es braucht im Frühjahr eine Weidefläche ohne fetten, engstehenden Milchkuhhochleistungs-Rasen, bei uns nutzen wir zum Beispiel den Obstgarten.
Die Bäume sorgen dafür, dass es dort eher mosig und spärlich bewachsen und mit Wiesenkräutern durchsetzt bleibt. Außerdem fluktuiert der Fruktangehalt nicht so stark, da die Gräser durch die schattenspenden Bäume nicht zu starker Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind.
Um dann Anzuweiden, wenn der Fruktangehalt im Gras am geringsten ist, reicht es nicht nur die Angleichung von Tag- und Nachttemperaturen abzuwarten, es empfiehlt sich in den ersten Wochen nachmittags oder abends anzugrasen – nicht schon morgens! Sonneneinstrahlung fördert zwar die Photosynthese von Pflanzen und damit den Fruktangehalt, allerdings fluktuiert dieser über den Tag hinweg und ist ganz besonders hoch in den ersten Sonnenstunden, gerade wenn es nachts noch kalt ist, über den Tag hinweg normalisiert sich das Fruktanniveau dann.
Vorsicht ist nur geboten, wenn die Pflanze leidet: Frost, Dürre, Überweidung oder zu häufiges Mähen. Wenn es also ein außergewöhnlich heißer Spätfrühling mit Dürre und starker Sonneneinstrahlung werden sollte, dann lieber schon früher auf den Vormittag wechseln.
Erst wenn wir im Obstgarten auf 2,5 – 3 Stunden gekommen sind, geht es dann auf die Sommerweiden. Nicht nur die Anweidezeit bestimmt diese Umstellung, auch der Graswuchs: Ich hab meine Sommerweiden gerne bis zum Bauch der Pferde hoch stehen – langes Gras hat am wenigsten Zucker, spendet den darunter liegenden Schichten Schatten und erholt sich so am besten, denn die Weideflächen trocknen so nie aus. Außerdem haben Gräser und Kräuter so auch die Chance auszublühen bevor sie abgefressen werden und die Weide säht sich so selbst nach.
Wenn wir den Wechsel zur Sommerweide machen, gehen die Pferde auch wieder etwas kürzer raus als zuletzt auf der Frühlingsweide, erst mal mit 2 Stunden, denn neue Weidefläche bedeutet immer auch Futterumstellung, jede Wiese hat eine andere Zusammensetzung von Gräsern und Kräutern, die Boden- und Lichtverhältnisse bestimmen Nährstoffe und Zuckergehalt.
Auf keinen Fall sollte man eine Weide bis auf die Grasnarbe abfressen lassen – nicht nur leidet die Pflanze und speichert Zucker ein, auch wird sich diese Weidefläche nicht mehr gut erholen. Deshalb gilt bei mir das Prinzip der Umtriebweiden: Kleine Weideareale, die alle 2 – 4 Wochen wieder geschlossen werden, spätestens wenn‘s wieder nur handhoch steht oder größere Kahlschläge zu erkennen sind.
Fressbremsen sind ein Segen – kein Fluch!
Ein ganz wichtiger Faktor für risikoarmes Anweiden sind Fressbremsen. Bei mir bekommen alle Pferde, mit vereinzelten Ausnahmen, wenigstens für die ersten Wochen eine Fressbremse auf. Diese Maulkörbe verlangsamen die Futteraufnahme so wunderbar, dass man von 30 – 50% mehr Weidezeit ausgehen kann als ohne. Wir wissen ja alle, wie wichtig der natürliche Weideschritt für die Gesundheit des Bewegungsapparates ist. Ganz abgesehen von der seelischen Ausgeglichenheit, die der Weidegang in der Herde mit sich bringt. Deshalb möchte ich natürlich, dass das Pferd möglichst lange auf die Weide darf.
Selbst wenn ein Pferd nicht zum Übergewicht neigt und keine Stoffwechselprobleme hat, vielleicht ist es sogar richtig gut trainiert und topfit, empfehle ich eine Fressbremse für die ersten Weidewochen, da die verlangsamte Futteraufnahme auch Schlundverstopfungen, Magenüberfüllungen, Dünndarmverstopfungen und Gaskoliken vorbeugt. Junges Frühlingsgras ist nämlich sehr weich und ein Pferd bekommt davon, befeuert durch die Gier, schnell mal 3 – 6 kg pro Stunde (!) runter, was natürlich den Verdauungsapparat, der momentan nur auf die deutlich langsamere Aufnahme von trockenem Heu eingestellt ist, überfordern könnte. Nicht zuletzt sollte man daran denken, dass das Pferd ein sogenannter „hind gut fermenter“ ist, das heißt seine Dickdarmabschnitte sind Gärkammern, besiedelt von Unmengen Bakterien, die ihm die Cellulose in verwertbaren Zucker umwandeln. Diese Bakterien, die sogenannte Darmflora des Pferdes, sind extrem empfindlich auf jegliche Futterumstellung. Mit einer Fressbremse und langsamen Anweiden können wir ihnen die Umstellung von Heu auf Gras erleichtern, ohne dass es zu größeren Problemen wie Gaskoliken kommen muss.
Meine eigenen, rassebedingt zu Übergewicht neigenden – PREs und Shettlands sind beide extrem gute Futterverwerter, die in härtesten Bedingungen und extrem kargen Landschaften gut zurecht kommen – tragen ihre Fressbremsen bis zur Mahd des Altheus (Ende Juni/Anfang Juli) oder kommen sogar erst ab Juli auf die Umtriebweiden.
Die meisten Rehagäste tragen die Fressbremse bis Mitte Juni, manche nur bis kurz nach der Umstellung auf die Sommerweiden – je nach individueller Situation, besonders je nach Sollgewicht und BCS sowie Neigung oder Historie von Stoffwechselerkrankungen. Übrigens: Wir wiegen die Pferde immer im April oder Mai, also zum Start der Weidesaison, dann nochmals im Oktober/November, am Ende der Saison – im Idealfall halten sie ihr Sollgewicht genau. Kleinere Fluktuationen dürfen sein, größere nicht.
In diesem Sinne – keine Angst vorm Anweisen, mit dem richtigen Plan startet dein Pferd entspannt in die Weidesaison.
Love & Peace
Jenny
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